#2 Herodes und Co. – warum findet man sie in den Erzählungen über Jesu Geburt?
„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Quirinius Statthalter von Syrien war.“ (Lk 2, 1)
„Da Jesus geboren war zu Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes […]“ (Mt 1,1)
Mit diesen Zitaten aus der Bibeln bekommen wir es gleich mit drei Persönlichkeiten zu tun: Augustus, Quirinius und Herodes. Außerbiblischen Quellen zufolge haben diese drei tatsächlich gelebt und auch genau das Amt ausgeführt, wie es die Autor*innen der beiden Evangelien berichten. Hier findet sich jedoch schon der erste historische Fehler. Kaiser Augustus, der erste Kaiser des römischen Reiches, hat nachweislich in derselben Epoche wie Quirinius gelebt, der die Provinz Syriens verwaltet hat. Das Todesdatum von König Herodes, dem Regenten von Judäa, lässt sich auf das Jahr vier vor Christus festlegen. Quirinius wurde aber erst circa sechs nach Christus Provinzverwalter und ließ die Volkszählung etwa sieben nach Christus durchführen. Wahrscheinlich erblickte Jesus in den letzten Regierungsjahren von Herodes das Licht der, also zwischen acht und sechs vor Christus. (Oder zu einer anderen Zeit, je nachdem welche Quellen man zitiert.)
Mit diesen Daten will ich Ihnen aber gar nicht beweisen, auf was für historisch wackeligen Füßen die Bibel doch steht. Im Gegenteil. Aufgeschrieben wurden die Geschehnisse weit nach Jesu Tod. Und da ist es nur zu verständlich, dass man einfach historische Fehler begeht, oder sie in Kauf nimmt, um eine bestimmte Aussage zu treffen. Man lebte nun mal in Zeiten der Mundpropaganda, es gab kein Zeitungsarchiv, lediglich die Erzählungen der älteren Menschen, die zur Zeit Jesu gelebt hatten. Und wir wissen alle, wie sehr Erzählungen über die Vergangenheit variieren. Selbst die vom selben Erzähler.
Nun möchte ich Ihnen die oben genannten Personen kurz vorstellen:
Herodes
Beim römischen Volk war Herodes sehr beliebt. Durch wirtschaftliches Geschick brachte er ihm viel Wohlstand. Was Bestrafungen angeht, galt er jedoch als besonders herzlos. Den Mörder seines Vaters ließ er brutal hinrichten, ebenso verstieß er zwei seiner Frauen, die zweite war jüdisch. Letzteres verlieh ihm gerade im jüdischen Volk nicht gerade Ansehen. Ebenso galt er als sehr eifersüchtig und hatte Angst, dass man ihm seinen Thron streitig machen könnte. Da machte es ihm auch nichts aus, Nebenbuhler mal eben „aus dem Weg zu räumen“. Dieses Schicksal erlitten sogar ein paar Kinder von ihm.
Diese Brutalität floss mit Sicherheit in die Erzählungen der Geburtsgeschichte mit ein. Sein Vorhaben, jedes jüdische Kleinkind töten zu lassen, weil er Angst davor hatte, den Thron zu verlieren, konnte historisch nie bewiesen werden. Allerdings könnte dieses erzählerische Stilmittel aus folgender Tatsache entstanden sein: Es gab einen Befehl von Herodes, jüdische Männer aus angesehenen Familien zu ermorden, damit die Juden bei seinem bevorstehenden Begräbnis einen Grund hätten zu weinen. Es ist seiner Schwester Salome zu verdanken, dass die Gefangenen befreit und die Tat verhindert wurde.
Dass die Autor*innen des Matthäusevangeliums sich dieser Tatsache bedienten, um eine Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten zu konstruieren, ist gut nachvollziehbar. Warum sie das taten? Gerade dem Matthäusevangelium liegt es am Herzen, dass Jesus der Messias war, von dem die Heiligen Schriften schon Tausende Jahre zuvor berichtet hatten. Siehe Hosea 11,1 und Matthäus 2,15: „Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen“ oder Jeremia 31,15: „Man hört Klagegeschrei und bittres Weinen in Rama: Rahel weint über ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen über ihre Kinder; denn es ist aus mit ihnen.“
Das Matthäusevangelium bemüht sich sehr, den Bezug zu den Heiligen Schriften zu finden, um die Rolle Jesu als Messias immer und immer wieder zu belegen. Frei nach dem Motto: Jesus ist wirklich der Messias, von dem die Rede war, auch wenn er selbst es nie bestätigt hat.
Kaiser Augustus und Quirinius
Kaiser Augustus war DER Mann im römischen Reich. Er war der erste Kaiser römische Kaiser und damit die wichtigste Persönlichkeit über viele, viele Jahre. Neben ihm Quirinius, sein Statthalter, der für die Verwaltungsarbeiten zuständig war.
Man kann sich das heute nicht mehr so richtig vorstellen. Wenn man fragt, wer unser Bundeskanzler ist, wird das wahrscheinlich nicht jede:r in Deutschland wissen. Beim Finanzminister sieht es vielleicht sogar noch wackeliger aus mit der richtigen Antwort. Blickt man in die Nachbarländer mit einem König, einer Königin, kann man es vielleicht ein wenig besser nachvollziehen. Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie ein gesamtes Volk seinen König oder seine Königin verehrt. Ich selbst war einmal kurz nach dem 27. April, dem Königstag der Niederlande, in Amsterdam. Überall waren Spuren der Feier zu sehen. Das Land hatte frei gehabt und gemeinsam die größte Party des Jahres gefeiert. So ähnlich kann man sich die Liebe des römischen Volkes zu seinem Kaiser vorstellen.
Schon sein Adoptivvater, Julius Cäsar, wurde wie ein Gott verehrt. Augustus sah sich selbst als denjenigen an, der ein goldenes Zeitalter, ja sogar einen paradiesischen Zustand hervorgebracht hatte. Im Osten seines Reiches, also in der Gegend, in der Jesus zur Welt kam, wurde er sogar als „Retter der Menschheit“ und „Friedefürst“ verehrt. Kommen Ihnen die Bezeichnungen bekannt vor? Genau. Sie erinnern uns sehr an die Titel, die wir mit Jesus Christus in Verbindung bringen.
Die Autor*innen des Lukasevangeliums legten Jesu Geburt also genau in die Zeit, in dem sich ein Kaiser als „Friedefürst“ verehren lässt. Dabei hätte er den Titel durchaus verdient. Der Pax Augusta, der augustinische Frieden, war das zentrale Element seines innenpolitischen Programms Kaisers. Hinzu kommt, dass die Menschen zur Zeit Jesu in einer Erwartungshaltung von Gottes Reich waren. Wieder und wieder findet man in den Heiligen Schriften Hinweise darauf, dass ein Messias kommen würde, der das Volk rettet, die Menschen befreit, den ewigen Frieden bringt. Sie waren sich sicher, dass diese Wende unmittelbar bevorstünde. Es liegt also nahe, Kaiser Augustus mit genau diesem Messias in Verbindung zu bringen. So treffen eine politische Persönlichkeit und ein kleines Baby aufeinander. Genau auf diesen Teil legt das Lukasevangelium wert. Jesus, als geisterfüllter Retter, wird dem angeblichen Retter und „Herrn“ Kaiser Augustus gegenübergestellt. Er wird das jüdische Volk von der Fremdmacht Roms befreien. Siehe dazu Lukas 1, 31-33: „Du wirst schwanger werden und einen Sohn zur Welt bringen. Dem sollst du den Namen Jesus geben. Er ist zu Großem bestimmt und wird Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vorfahren David geben. Er wird für immer als König herrschen über die Nachkommen Jakobs. Seine Herrschaft wird niemals aufhören.“
Und hier kommt die Symbolik ins Spiel: Uns ALLEN ist ein Kind geboren, ein König. Christus bedeutet nämlich nichts anderes als „der Gesalbte“.
Die Regentschaft eines Königs ist begrenzt! Die Herrschaft Jesu Christi jedoch dauert ewiglich. Er kommt als Kind zur Welt, ist ein König zum Anfassen. Diesen Tag feiern wir Jahr um Jahr. Seine irdische Zeit war begrenzt, aber seine Zeit als Sohn Gottes wird niemals aufhören.
Verena Kipp