Ein modernes Instrument im barocken Gewand
Die aus dem 13. Jahrhundert stammende Reformationskirche im Herzen der Hildener Altstadt beherbergt ein besonderes Zeugnis barocker Orgelbaukunst. Schreiten Besucher durch das Hauptportal ins lichtdurchflutete Hauptschiff der spätromanischen Emporenbasilika und wenden sie den Blick zurück, schauen sie auf einen prachtvollen, kostbaren Orgelprospekt.
Das Vordergehäuse stammt von dem Orgelbauer Johann Wilhelm Schöler aus Bad Ems, der im Jahre 1754 auf der Westempore über dem Haupteingang die erste Hildener Orgel aufstellte. Der erhaltene barocke Prospekt aus geschnitztem Lindenholz, welcher zum Teil mit Blattgold überzogen ist, zeigt König David mit einer Harfe.
In den Psalmen des Alten Testaments ist im ersten Vers zu lesen:„Ein Psalm Davids, vorzusingen…“ und im Psalm 150, Vers 3 findet man u.a. Folgendes: „Lobet ihn [den Herrn] mit Psalter und Harfen! Lobet ihn mit Saiten und Pfeifen… Alles was Odem hat, lobe den Herrn.“
Der Orgelprospekt nimmt direkt Bezug auf diese Verse. Neben der Figur des König David gibt es rechts und links zwei flankierende musizierende Engelsfiguren. Die Botschaft ist klar: die Psalmen dienen dem Lobe Gottes. Dazu dient auch die Orgel mit ihren Pfeifen. Die Musik ist eine Gottesgabe.
Die originale Schöler-Orgel war ein vergleichsweise kleines Instrument mit nur einem Manual und 12 Registern und entsprach damit einer typischen Dorforgel ihrer Zeit. Ein selbständiges Pedal mit eigenen Registern fehlte. Es bestand lediglich die Möglichkeit, die Manual-Tasten auch mit den Füßen über die angekoppelte Pedalklaviatur zu bedienen.
Den Anstoß für den Bau der Orgel gab das Presbyterium in der Sitzung am 5. November 1751 und begründete den Beschluss damit, dass „es nicht Ungeziemliches sei, eine Orgel zur Aufweckung der Andacht bei den öffentlichen Gottesdiensten…“ zu erwerben.
Nach dem Einbau einer Orgelbühne über dem Hauptportal konnte das Instrument im Frühjahr 1754 in Einzelteilen gut verpackt auf dem Wasserweg rheinabwärts bis nach Urdenbach im Süden Düsseldorfs und weiter mit Pferdewagen zur Kirche geliefert werden. Am 30. Juni war die erste Hildener Orgel fertig und wurde in der damals noch einzigen Evangelischen Kirche im Gottesdienst feierlich eingeweiht.
Die alte Schöler-Orgel hat im Laufe der Zeit mehrere Umbauten und Erweiterungen erfahren und wurde nach und nach dem Zeitgeschmack angepasst.
Die erste Veränderung geschah 1897 durch die Orgelbaufirma Ernst Seifert, Köln. Ein zusätzliches Pedal sorgte erstmalig für ein gutes klangliches Bass-Fundament. Die ursprünglich mechanische Spielanlage wurde zu einer rein pneumatischen umgebaut. Dies bedeutet, dass es einen geringeren Tastendruck erfordert, um Töne zu erzeugen. Gleichzeitig entsteht eine gewisse Verzögerung bis zur Pfeifenansprache, da über eine Membran der Tastendruck über Luft und lange Bleiröhrchen an die Pfeifenventile weitergeleitet werden muss.
Der zweite Umbau erfolgte 1940 durch Orgelbauer Oscar Walcker aus Ludwigsburg. Die Orgel wurde um ein sogenanntes Rückpositiv an der Emporenbrüstung erweitert und die Registerzahl erhöht. Auch die Registerzusammenstellung wurde geändert. Es wurden neue Register eingebaut, die ein gutes klangliches Fundament oder eher helle und grelle Klänge hervorrufen. Letztere hielt der Zeitgeschmack für unentbehrlich.
Die Orgel hatte nun 28 Register verteilt auf zwei Manuale und Pedal, wurde aber bald wieder störanfällig. Undichtigkeiten im pneumatischen Spielsystem führten zu häufigen Tonaussetzern, sodass im Zuge der Renovierung der Kirche in den 1960er Jahren eine neue Orgel geplant wurde.
Die renommierte Berliner Orgelbauwerkstatt Karl Schuke erhielt den Auftrag. Sie baute 1970 ein komplett neues Werk mit 2 Manualen und 23 Registern. Diese sind verteilt auf Hauptwerk, Schwellwerk und Pedalwerk. Der barocke Prospekt der Schöler-Orgel von 1754 enthielt wieder das Hauptwerk. Die Spielanlage war wieder mechanisch, so dass die Organisten den Zeitpunkt der Pfeifenansprache spürbar fühlen und beeinflussen konnten.
Seitdem hat die Orgel zwei Umbauten erfahren. 1997 tauschte man das Pedalregister Trompete 4′ gegen eine Trompete 8′.
2016 wurde durch den Erbauer, die Firma Schuke, im Zuge einer großen Renovierung die Registersteuerung komplett umgebaut. Statt der elektropneumatischen Steuerung werden die Register nun störungsfrei und nahezu geräuschlos mit magnetgesteuerten Schleifen betrieben.
Statt nur zwei freier Kombinationen verfügt das Instrument nun über eine moderne Setzeranlage mit 7999 Speichermöglichkeiten inklusive Sequenzerschaltung. Zusätzlich wurde das Schwellwerk um ein Register, ein Salicional 8′, erweitert, und damit die Registerzahl auf 24 erhöht.
Das zart streichende Salicional-Register öffnet die Orgel damit auch für Klänge aus der Zeit der Romantik und Moderne. Dabei war den Verantwortlichen bewusst, dass das originale Klangbild im Wesentlichen nicht verändert werden sollte, die Orgel aber durch die zusätzliche neue Klangfarbe ein Zugewinn an Möglichkeiten erhalten sollte. Die neue Setzeranlage entlastet die Organisten bei der Registrierung deutlich und eröffnet schnellere und damit differenziertere Klangabstufungen, die gerade für romantische und neuere Orgelmusik unerlässlich ist.
Die Karl-Schuke-Orgel präsentiert sich heute als ein sehr vielseitiges Instrument mit einer fein abgestimmten Auswahl von Prinzipal-, Flöten-, Streicher- und Zungenregistern. Die Qualität des Pfeifenwerkes und der sogenannten Intonation (Feinabstimmung auf den Kirchraum) ergeben ein sehr ausgewogenes Klangbild mit einem eindrucksvollen kraftvollen Plenum und schönen unterschiedlichen Klangfarben, die sich alle gut miteinander kombinieren lassen.
Die 24 Register verteilen sich auf 2 Manuale und Pedal.
DISPOSITION
Hauptwerk
Prinzipal 8′
Gedackt 8′
Octave 4′
Flûte douce 4′
Waldflöte 2′
Mixtur 4-6f.
Dulcian 16′
Trompete 8′
Schwellwerk
Rohrflöte 8′
Salicional 8′
Prinzipal 4′
Quintade 4′
Octave 2′
Sesquialtera 2f.
Quinte 1 1/3′
Scharff 3-4f.
Trichterregal 8′
Tremulant
Pedal
Subbass 16′
Prinzipal 8′
Hohlflöte 4′
Bauerflöte 2′
Hintersatz 5f.
Posaune 16′
Trompete 8′ (bis 1997 als 4′)
Koppeln
II/I
Ped/I
Ped/II
Friedhelm Haverkamp
Fotos: Friedhelm Haverkamp mit Ausnahme der gekennzeichneten Fotos