Mahnmal für Leo Meyer neben der Reformationskirche am 15.8.23 enthüllt

Neben dem Bürgermeister Dr. Claus Pommer und Frau Julia Blüm (Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf) hat unser Presbyter und Synodalältester Herr Thorolf Haas die folgende Rede gehalten: (es gilt das gesprochene Wort)

Sehr geehrte Frau Blüm, sehr geehrter Dr. Pommer und liebe Therese Neuhaus, liebe Hildener Bürgerinnen und Bürger,

die Evangelische Kirchengemeinde Hilden hat den Standort für das Leo Meyer – viel zu spät – ehrende Mahnmal, an diesem zentralen Ort mitten in unserer Stadt und vor unserer Reformationskirche zur Verfügung gestellt.

Wir sind froh, dass das Presbyterium, unser Leitungsgremium, den Beschluss dazu nicht nur einstimmig sondern auch aus tiefster Überzeugung der einzelnen Mitglieder gefasst hat.

Und wir sind froh, dass Therese Neuhaus, die „Mutter“ der Initiative zu diesem Mahnmal, in all den Jahren, immer wieder über neue Hindernisse hinweg nicht locker gelassen, und nicht aufgegeben hat. Ihr gilt heute ganz besonders unsere Anerkennung und unser ganz großer herzlicher Dank!!!

In ihrem Buch nimmt Barbara Suchy, uns mit in die Zeit zu Beginn des letzten Jahrhunderts:

Am Vorabend des Ersten Weltkrieges war, Leo Meyer, ein deutscher Jude, der wie die allermeisten seiner christlichen, besonders seiner evangelischen Nachbarn von Vaterlandsliebe, Kaisertreue und Nationalstolz geprägt war.

Gleich zu Beginn des Krieges eingezogen, wurde er nach drei Jahren als Soldat an der Front im besetzten Belgien in der Provinz Antwerpen als Ortskommandant von Oost-Malle eingesetzt. Im Bereich des dortigen Klosters waren ein Waisenhaus und hunderte französische Flüchtlinge untergebracht. Besonders unter ihnen herrschte große Not: Hunger, Krankheit, katastrophale hygienische Verhältnisse.

In Zusammenarbeit mit der französischen Oberin des Klosters organisierte er heimlich Lebensmittel und erbat und bekam schließlich sogar eine hohe Geldsumme von seinem Vater in Hilden, die er der Oberin für die Versorgung der Geflüchteten überließ.

Kollaboration mit dem „Erbfeind“, so hätte vermutlich der Tatvorwurf gelautet, hätten Leo Meyers Vorgesetzte von seinen Umtrieben im Verborgenen erfahren.

Dass er – ganz im Gegensatz zu seiner beschriebenen politischen Prägung – sein Leben riskierte, um den Menschen zu helfen, die vor seinen Augen in ihrem Elend mehr vegetierten, als lebten, ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Es beweist nicht nur besonders großen Mut, sondern auch eine große Menschenliebe. Eine Nächstenliebe, die über die eigene politische Prägung, den herrschenden Zeitgeist, nationale und religiöse Grenzen scheinbar mühelos weit hinausgeht.

So ist es nicht verwunderlich, dass die Ordensschwester, die inzwischen das Amt der Oberin übernommen hatte, den „guten Deutschen“ in bester Erinnerung hatte, als dieser 1938 als jüdischer Flüchtling vor dem nationalsozialistischen Terror selbst Hilfe brauchte und diese dann auch erfuhr.

Die von einem Hildener Künstler gestaltete Stele ist für uns, also auch ein Mahnmal dafür, was wirkliche Nächstenliebe bewegen kann.

Die wurde Leo Meyer nach seiner Rückkehr nach Hilden allerdings kaum entgegengebracht. Krank, trauernd um seine ermordete Familie, mit seiner kleinen neuen Familie praktisch mittellos, kämpfte er vergeblich um die Rückgabe des Immobilienbesitzes seiner – bis auf ihn selbst – ausgelöschten Familie.

Den hatte sich der Ortsgruppenleiter der NSDAP, Heinrich Thiele, unter den Nagel gerissen, der auf wundersame Weise aus dem Prozess um die Morde der Hildener Pogromnacht und der Entnazifizierung recht unbeschadet hervorgegangen war.

Damals kannte in Hilden jeder jeden. Alle wussten, dass Thiele die Mordtruppen in dieser Nacht vor dem Alten Helmholtz gesammelt und losgeschickt hatte.

Unsere Evangelische Gemeinde war auch zur Zeit von Leo Meyers Rückkehr nach Hilden noch sehr mit sich selbst beschäftigt. Nach der Spaltung in den von der sogenannten „Glaubensbewegung deutsche Christen“ dominierten Gemeindeteil und die „Bekennende Gemeinde“ versuchte man nach fast 14jährigem Kirchenkampf wieder zusammen zu kommen.

Privat war man in der schwierigen Nachkriegszeit mit Überleben beschäftigt.

Keine Zeit für die Auseinandersetzung mit Schuld? Keine Zeit für Gerechtigkeit und tätige Nächstenliebe?

„Seine Welt war ihm abhandengekommen. Er war ein Fremder im eigenen Land.“

Dies wird der Text der Gedenktafel werden. Ein Zitat einer Tochter aus der französischen Familie Briquet, die Leo Meyer jahrelang versteckt hatte.

Aus unserer Sicht müsste es eigentlich richtiger heißen:

„Seine Welt wurde ihm genommen.“

Wir können die Schuld und die Versäumnisse unserer Vorfahren nicht wieder gut machen. Aber wir können und müssen die Verantwortung dafür übernehmen, dass so etwas nie wieder einem Menschen in unserer Mitte geschieht.

Heute ist Hilden so groß, dass nicht mehr jeder jeden kennt, auch wenn uns das gelegentlich doch noch so vorkommt. So wissen wir nicht, wer heute die jüdischen Familien in Hilden sind und wo sie wohnen. Dass das gut so ist, ist in Wirklichkeit schlimm und extrem allarmierend: Denn schon wieder besteht die Gefahr von antisemitischen Übergriffen! So brauchen beispielsweise die Synagoge und die jüdischen Einrichtungen in Düsseldorf permanenten Polizeischutz.

Liebe Hildenerinnen und Hildener, lassen wir uns von diesem Mahnmal immer wieder daran erinnern, dass es auf jede und jeden von uns und auch auf uns gemeinsam ankommt. In diesem Bewusstsein, hat unsere Kirchengemeinde im Jahr 2020 das Hildener Bekenntnis erarbeitet und veröffentlicht.

Auf unser Vorbild und unsere tatkräftige und notfalls auch mutige Nächstenliebe, die vor den vermeintlichen Grenzen von Religion, Weltanschauung, Lebensform, Kultur oder Herkunft nicht Halt machen darf.

Oder um es mit den Worten der Oberin Beatrix des Klosters in Oost-Malle zu sagen:

„Lassen wir uns nicht von den Taten derer aufhalten, die weder Gerechtigkeit noch Nächstenliebe und Barmerzigkeit kennen!“*

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Bericht in der Lokalzeit Düsseldorf:

https://www.ardmediathek.de/video/lokalzeit-aus-duesseldorf/lokalzeit-aus-duesseldorf-oder-15-08-2023/wdr/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLTc4MmU2ZTRjLWYyZWMtNDYyYi04MDVmLTVmZDY1MDUwZjdjOA