Interview mit Kerstin Schmidt von Bestattungen Müller
1950 eröffnete der Opa von Kerstin Schmidt, von Haus aus Schreiner, Bestattungen Müller. Ihre Oma und dann ihre Mutter führten das Geschäft weiter. Kerstin Schmidt half ihr dabei ab und zu bei Büroarbeiten. Sie hatte nie vor, Bestatterin zu werden. Und doch ist sie es heute mit Leib und Seele. Ich treffe Kerstin Schmidt in ihrem Ladenlokal im Erikaweg. Es ist von Licht durchflutet und ich fühle mich sofort wohl. Bevor wir mit dem Interview loslegen, muss ich Raya begrüßen. Die Hündin nähert sich vorsichtig, beschnuppert mich sanft, holt sich einen Streichler ab und nimmt dann, offensichtlich zufrieden, einen Platz unter dem Tisch ein.
Was ist Ihnen wichtig in Ihrem Beruf?
Ich möchte Menschen nicht nur begleiten, sondern auch unterstützen. … Vielleicht fange ich noch mal anders an: Ich bin ja ursprünglich Krankenschwester. Damals habe ich mich auch im Bereich der Palliativ-Versorgung weitergebildet. Und da merke ich heute im Beruf heute die Ähnlichkeit. Anfangs wurde das ja ein bisschen belächelt – von der Intensiv-Krankenschwester zur Bestatterin – aber es ist nichts Anderes als früher, wenn ich mich mit den Angehörigen am Sterbebett zusammengesetzt habe und wir haben besprochen: „Was kann ich jetzt noch machen? Was kann ich für Sie tun?“
Genau dieses Miteinander ist mir so wichtig: Bei mir geht es nicht nur darum, eine Beerdigung zu organisieren, sondern auch die Familie mit ihren Bedürfnissen wahrzunehmen. Daraus ergibt sich dann zum Beispiel, dass ich das Bild, das die Verstorbene zu Lebzeiten gemalt hat, in die Trauerfeier einbinde. Oder die Familie war immer gern zusammen an der See. Dann sage ich: „Okay, dann holen wir die See mit in die Trauerfeier!“ Bei mir geht fast alles.
Das klingt toll!
Wir machen auch viel mit Luftballons, das habe ich mir aus der Traumatherapie abgeguckt. Einen davon lassen wir dann steigen – als ein Zeichen des Loslassens. Und die Enkelkinder haben letztens, als wir das hatten, noch ein Bild gemalt. Eines davon sagte: „Ach so, das ist hier jetzt mein Opa.“ Und dann waren sie noch am Draufklopfen auf den Sarg. Anschließend wollten sie wissen, ob ihr Bild im Himmel denn auch ankommt. Und ich sagte: „Natürlich kommt das an! Das machen wir ganz oft.“ Dann habe ich sie auch noch die Lieder aussuchen lassen. Ein paar modernere. Sogar Hip Hop. Das Schöne dabei ist, dass sie irgendwann eine ganz andere Erinnerung an diese Zeit haben, als das früher üblich war. Zu der Zeit, als die Angehörigen noch gesagt haben: „Du darfst das nicht. Oder: Sei jetzt ruhig!“
Ich zum Beispiel durfte gar nicht erst mit zur Beerdigung meines Großvaters gehen, weil meine Eltern mich für zu klein hielten und mir das nicht zumuten wollten. Mir fehlt diese Abschiedsmöglichkeit bis heute …
Ich finde auch, dass man die Kinder immer fragen sollte, ob sie dabei sein möchten und ihre Entscheidung respektieren.
Haben Sie in Ihrem Beruf manchmal auch mit Problemen zu kämpfen?
Manchmal ist es nicht so einfach, die Wünsche aller Beteiligten unter einen Hut zu bekommen. Aber bisher haben wir das immer geschafft. Und es gibt Menschen, die denken, wir möchten ihnen was aufschwatzen. Das ist natürlich nicht so.
Und wie leben Sie Ihren Glauben?
Ich bin evangelisch und hier unserer Kirchengemeinde angehörig. Ich bete. Und wenn ich wirklich mal ernsthafte Probleme habe, gehe ich zu Frau Schüller. Sie ist „meine erste Ansprechpartnerin“, sie weiß auch genau, wie ich ticke. … Einmal durfte ich ein Sternenkind beerdigen, ohne Eltern. Das Ordnungsamt war zuständig, denn die Mutter war aus dem Krankenhaus gegangen. Für sie habe ich das Kind dann schön angezogen, Fotos gemacht von der Beisetzung, und die im Krankenhaus hinterlegt, falls die Mutter sie irgendwann mal brauchen sollte.
Die Beisetzung war schwer für mich. Ohne Frau Schüller wäre ich ganz alleine gewesen mit der Situation. Und ich hatte mal eine Dame, die hatte immer Angst vor kalten Füßen. Zu der habe ich gesagt: „Machen Sie sich mal keine Sorgen. Dann leg ich Ihnen eine Wärmflasche in den Sarg.“
Ich spreche auch mit den Toten … Ohne meinen Glauben könnte ich meinen Job gar nicht machen.
Allerdings hatte ich auch mal einen schweren persönlichen Schicksalsschlag, da ist mein Freund gestorben, da konnte ich zwei Jahre gar nicht glauben. Ich war sogar richtig wütend auf Gott und habe mich wie betrogen gefühlt von ihm. Auch in dieser Zeit war Frau Schüller für mich da.
Wo in der Gemeinde könnte man Sie mal ganz unverbindlich kennenlernen, wenn man sich nicht direkt in Ihr Büro traut?
Am ehesten trifft man mich im Wald mit Raya, weil ich aufgrund meiner Tätigkeit wenig Freizeit habe. Im letzten Jahr war ich beim Adventsstündchen rund um Friedenskirche dabei. Ansonsten versuche ich, Nachmittagsgottesdienste zu erreichen.
Gibt es noch etwas rund um den Glauben, das Ihnen wichtig ist, was Sie noch teilen möchten?
„Alles hat seine Zeit.“ Das wird mein Trauerspruch, das habe ich schon festgelegt.
Welche Welt verbirgt sich für Sie dahinter?
Ich finde den Satz an sich so prägend. Das Festhalten, das Loslassen, das Werden und Vergehen von Pflanzen, all das ist darin. Und wenn ich ihn höre, aus dem Buch Salomo, bin ich immer wieder berührt. Von klein auf.
Das Gespräch führte Anke Gasch